Unter den Heiligen, die von verschiedenen autokephalen orthodoxen Kirchen in den letzten Jahrzehnten kanonisiert wurden, sind einige, die entscheidende Jahre ihres Lebens in Mittel- und Westeuropa verbracht haben, so beispielsweise die hl. Großfürstin und Nonne Elisaveta Feodorovna, die als Prinzessin von Hessen und bei Rhein in Darmstadt aufgewachsen ist, bevor sie durch ihre Heirat mit Großfürst Sergij Aleksandrovič nach Russland kam, oder der georgische Archimandrit Grigol (Peradze), der von 1921 bis 1932 in Deutschland studierte und arbeitete.
Erstmals werden aber jetzt fünf Personen kanonisiert, deren Wirken und deren Sterben eng mit dem Schicksal der Orthodoxie und der russischen Emigration in Westeuropa verbunden ist, nämlich die Priester Aleksij Medvekov (1867-1934) und Dimitrij Klepinin (1904-1944), der Lektor Jurij Skobcov (1921-1944) und seine Mutter, die Nonne Marija Skobcova (1891-1945) sowie der Laie Elija Fodaminskij (1880-1942).
Den Antrag auf ihre Kanonisierung hatte das Exarchat der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition (mit Sitz in Paris), das zum Ökumenischen Patriarchat gehört, im September 2003 bei diesem gestellt. Nunmehr antwortete Patriarch Bartholomaios dem Vorsteher des Exarchats, Erzbischof Gabriel von Komana, auf dieses Gesuch: „Durch diesen unseren patriarchalen und brüderlichen Brief ... lassen wir wissen, dass wir in Beantwortung der Bitte, die Sie uns bezüglich des Erzpriesters Aleksij Medvekov, des Priesters Dimitrij Klepinin, der Nonne Marija (Skobcova) und ihres Sohnes Jurij Skobcov sowie des Elija Fodaminskij haben zukommen lassen, die sich durch die Reinheit und Heiligkeit ihres Lebens ausgezeichnet haben, und in Befolgung der Praxis und der in unserer heiligen orthodoxen Kirche üblichen Ordnung sie in das Verzeichnis ihrer Heiligen eingetragen haben und dass ihr Gedächtnis am 20. Juli jeden Jahres gefeiert werden soll“. Weiter hießt es in dem Synodalakt, dass die Genannten, „die aus Russland stammten, im Bereich unseres Patriarchalexarchates der orthodoxen Gemeinden der russischen Tradition in Westeuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gedient haben: Sie zeichneten sich aus durch die Askese und Heiligkeit ihres Lebens und haben durch das gute Beispiel, das sie gaben, beigetragen zum Aufbau der Seelen vieler Gläubiger; einige von ihnen haben während des Zweiten Weltkrieges viel Schlimmes erduldet und wurden Qualen unterworfen, die sie mit Festigkeit ertragen haben“. Daher sollen sie, die „ihr Leben in Heiligkeit und sogar bei einigen von ihnen im Martyrium vollendet haben, unter die seligen Martyrer und die Heiligen der Kirche gezählt und von den Gläubigen geehrt und mit Lobeshymnen gefeiert werden".
In seiner auf den 11. Februar 2004 datierten Botschaft hat Erzbischof Gabriel noch einmal die Bedeutung dieser Heiligen für die Orthodoxie in Westeuropa unterstrichen: „Alle fünf wurden, jeder nach der Gnade, die er vom Heiligen Geist erhalten hatte und in der Zeit, in die er von unserem Schöpfer und Herrn gestellt wurde, aufopfernde Diener der Kirche Christi. Durch die göttliche Vorsehung geführt und in der Folge der Ereignisse, die ihr Geburtsland im Blut versinken ließ, kamen sie hierher nach Frankreich und haben hier mit Eifer ihr Hirtenamt und ihr christliches Engagement in der Gesellschaft im Rahmen unseres Erzbistums unter der geistlichen und kanonischen Führung und mit dem Segen des Metropoliten Evlogij (Georgievskij, N.T.), seligen Angedenkens, versehen. Ihr Zeugnis begab sich in einem kritischen Moment, da die russische Orthodoxie sich in Westeuropa zu organisieren suchte und zwar generell in der Situation der ‚Diaspora’ außerhalb der kanonischen Grenzen der Kirche von Russland. Die Heiligkeit besitzt immer sowohl eine nicht zeitgebundene wie auch eine universelle Dimension der Teilhabe an der göttlichen Heiligkeit. Aber gleichzeitig wurzelt sie in Raum und Zeit, d.h. hier in der gesegneten wie schmerzhaften Geschichte der russischen Diaspora im Westen. Schließlich wurzelt sie da, wohin der Herr uns berufen hat, unseren Glauben an ihn zu bezeugen – in Gemeinschaft mit den Heiligen aller Zeiten, besonders aber – für uns – mit jenen aus dem Lande Frankreich. ... So bleiben ihre Namen und ihre Taten bis heute eingeschrieben im Herzen und Gedenken der Menschen. Angesichts der Heimsuchungen unserer Zeit übermitteln sie uns eine Botschaft der Stärkung und der Hoffnung, der absolutentreue zum Evangelium Christi: Bescheidenheit, Sanftmut, Selbstverleugnung, Sorge für die Schwachen und Unterdrückten, Dienst am Bruder, Geist der Aufopferung und der Liebe“.
Über den im Patriarchalen und Synodalen Akt vorgesehenen gemeinsamen Gedenktag der neuen Heiligen am 20. Juli, dem Festtag auch des alttestamentlichen Propheten Elija, hinaus regt der Erzbischof das Gedenken jedes Einzelnen der neuen Heiligen an seinem individuellen Todestag an, und zwar für „den heiligen Priestermartyrer Dimitrij und seine Gefährten, die Martyrer Georgij und Il’ja am 9. Februar (27. Januar alten Stils), die heilige Nonne und Martyrerin Marija am 31. März (18. März alten Stils) und den heiligen und gerechten Priester Aleksij am 22. August (9. August alten Stils)“. Liturgische Offizien zu den neuen Heiligen wie auch ihre Ikonen sollen „gemäß den traditionellen Regeln der Heiligen Kirche“ nun bald erstellt werden.
Weiter kündigt Erzbischof Gabriel die feierliche Erhöhung der Neukanonisierten und die offizielle Verkündigung der Kanonisierung für den 1, und 2. Mai 2004 bei der Göttlichen Liturgie in der Kathedrale des hl. Aleksandr von der Neva in Paris an, zu der er alle „Brüder im Glauben, die in unserem Lande leben, besonders die ehrwürdigen Bischöfe, einlädt, sich unserer Freude anzuschließen und teilzunehmen an den liturgischen Feiern der Kanonisierung der neuen Heiligen, die dieses Land des Westens erleuchtet haben, wohin unser Herr und Meister sie gerufen hat, das Evangelium und die Liebe Christi zu bezeugen“. Besonders wird zur Teilnahme die „ehrwürdige Russische Orthodoxe Kirche eingeladen, die unserem Herzen immer teuer gewesen ist, und hoffen, dass auch sie, so wie es die kirchliche Tradition will, die Namen der neuen Heiligen in ihren eigenen Kalender einträgt, da diese, die sich auf dem Boden des Westen auszeichneten, doch ‚Fleisch vom Fleische’ des russischen Volkes waren“.
Erzbischof Gabriel schließt sein Schreiben an den Klerus und die Gläubigen des Exarchats mit einem mehrfachen Dank: „Wir danken Gott, ihm, dem allein Heiligen und dem Quell aller Heiligkeit, dass er uns die Taten seiner treuen Diener geoffenbart hat, die nicht gezögert haben, in Nachahmung unseres einzigen Hirten, Christus, bis zur Hingabe ihres Lebens zu gehen, um das Leben anderer Menschen zu retten, ... Wir danken Gott, der in seiner unendlichen Barmherzigkeit und trotz unserer Unwürdigkeit unter uns diese Fürbitter erwachsen ließ, die wir nunmehr in unserem liturgischen Gebet in der Kirche anrufen können. Wir danken Seiner Heiligkeit, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., und der Großen Kirche Christi, dass sie unser demütiges Ersuchen gebilligt und die Kanonisierung unserer Väter und unserer Mutter im Glauben durchgeführt haben“.
Vier der neu kanonisierten Heiligen standen in ihrem Leben – und Sterben! - in einer engen Verbindung, deren Zentrum in gewisser Weise Mutter Marija Skobcova war. Bei ihr handelte es sich sicher in mehrfacher Hinsicht um eine ungewöhnliche Frau. Geboren als Elisaveta Jur’evna Pilenko am 8. Dezember 1891 in einer aristokratischen Familie in Riga, verbrachte sie die Jahre ihrer Kindheit und Jugend vor allem in der Stadt Anapa am Schwarzen Meer, wo ihr Vater Leiter eines botanischen Gartens geworden war. Damals konnte wohl niemand ahnen, dass sie einmal 1932 im Alter von 41 Jahren Nonne werden würde – dies aber nach einem bewegten Leben, als sie sich als Dichterin und Künstlerin schon lange im Mittelpunkt der künstlerischen und gesellschaftlichen führenden Kreise bewegt hatte, zweimal verheiratet und geschieden und Mutter dreier Kinder war.
Bekannt wurde sie zuerst unter dem Namen Kuzmina-Karavaeva – und zwar nach ihrem damaligen Ehemann Dimitrij Kuzmin-Karavaev, mit dem sie acht Jahre verheiratet war (und der später römisch-katholisch, Jesuit und unierter Priester wurde). Die spätere Mutter Marija veröffentlichte in der Zeit von 1911 bis 1921 – noch in Russland – ihre ersten Gedichte und philosophischen Essais und veranstaltete die ersten Ausstellungen ihrer Werke. In diesen Jahren gehörte sie zu den Kreisen um Aleksandr Blok, Nikolaj Gumil’ev und Natalija Gončarova. Übrigens setzte sie auch später ihre künstlerische Tätigkeit fort, sei es bei der Ausgestaltung von Kirchen und Kapellen oder der Gestaltung liturgischer Gewänder.
1917 nahm sie begeistert an der Februar-Revolution teil und schloss sich dem rechten Flügel der Sozialrevolutionäre (SR) unter Aleksandr Kerenskij an. Doch dann wurde sie nach der Trennung von ihrem ersten Mann in Anapa, wo sie jetzt mit ihrer Tochter Gajana lebte, vom bolschewistischen Umsturz überrascht. Mit ihrem zweiten Mann Danill Skobcov, den sie dort kennenlernte, ihrer Mutter und ihren nunmehr drei Kindern konnte sie schließlich über Georgien, Konstantinopel und dann Jugoslawien aus dem sowjetisch gewordenen Russland fliehen.
1923 ließ sich die Familie in Paris nieder, wo ihre kleine Tochter Anastasia 1936 starb. Das Elend, das Elisaveta Skobcova auf der Flucht und im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter kennengelernt hatte, wurde für sie zu einem tiefgreifenden geistlichen Erlebnis. Sie begann, sich immer stärker im sozialen Dienst für die Randgruppen zu engagieren – so stark, dass ihr Familienleben darunter litt, zumal sie immer stärker den Wunsch hatte, die Nonnenweihe zu empfangen. Auf Anraten von Metropolit Evlogij, der sie zu diesem Weg ermutigte, kam es zu einer religiösen Trennung der zweiten Ehe und der Metropolit selbst spendete ihr die Nonnenweihe und suchte für sie den Namen der Maria von Ägypten aus.
1935 gründete sie im 15 Arrondissement von Paris in der rue de Lourmel 77 ein Foyer und ein Hospiz für Obdachlose, wobei sie dies ebenso als eine spirituelle wie als eine karitative Arbeit empfand, als – wie sie selbst es formulierte – ein „Mönchtum in der Großstadt, in der Wüste der menschlichen Herzen“. Zur Unterstützung ihrer Arbeit gründete sie eine Laiengruppe mit dem – von Nikolaj Berdjaev vorgeschlagenen - Namen „L’Action Orthodoxe“ zum Dienst an den Obdachlosen und Clochards mit einer Kantine, Werkstätten und einer Sozialberatung. Während der deutschen Okkupation Frankreichs wirkte sie von Anfang an aktiv in der Résistance mit und versteckte nicht nur entflohene sowjetische Kriegsgefangene, sondern auch zahlreiche Juden in ihrem Foyer in Paris, für die sie teilweise falsche Taufbescheinigungen besorgte. Allerdings ist das Wort „falsch“ nicht ganz richtig, zumindest nicht im Sinne von Mutter Marija, denn sie ging von einer besonderen Beziehung zwischen Christen und Juden aus, wie sie sie in einem unveröffentlichten Manuskript „Reflexionen zur Zukunft von Europa und Asien“ 1941 festhielt, indem sie ihre ganze Sicht der „Judenfrage“ darlegt, wobei sie allerdings mit Vladimir Solov’ev betont: „Es gibt keine Judenfrage, sondern nur eine Frage an die Christen!“ In ihrer Sicht sollte die Kirche besonders ihre Hand zu den Juden ausstrecken und ihnen ihr Herz öffnen: „Der Christ ist berufen, Pate des jüdischen Volkes zu werden. Durch Gottes Willen steht er jetzt an Angesicht zu Angesicht seinem, älteren Bruder gegenüber, der einst weggegangen ist!“ Indem sie Juden vom Tode rettete, sah Mutter Marija Christus zusammen mit den verfolgten Juden gekreuzigt: „Der Sohn Davids, der Messias, den sein Volk nicht erkannte, wird jetzt mit denen gekreuzigt, die ihn nicht anerkannten. Das Kreuz von Golgotha wird auf die Schultern Israels gelegt. Und dies Kreuz bedeutet auch eine Verpflichtung“. In Mutter Marijas Sicht wurden die Christen, die Juden retteten, gleichsam freiwillig zusammen mit den Juden gekreuzigt – zum Zwecke ihrer Rettung. Die Christen bedeuten den Leib Christi und in diesem Sinne Christus selbst. Somit gewinnen die geretteten Juden Anteil am Leibe Christi. So bleiben diese Geretteten nicht außerhalb des Leibes Christi, sondern haben in gewisser Weise – wenigstens potentiell oder zumindest passiv – Anteil an ihm.
Natürlich konnte ihr Wirken auf die Dauer den deutschen Okkupanten nicht verborgen bleiben: Am 8. Februar 1943 fand eine Hausdurchsuchung in der rue de Lourmel statt. Da gerade niemand von den Führungskräften anwesend war, verhaftete die Gestapo den zwanzigjährigen Sohn Mutter Marijas, den Lektor Jurij Skobcov. Am folgenden Tag feierte Vr. Dimitrij die letzte Göttliche Liturgie in der Kapelle des Foyers, bevor er sich zur Gestapo begab. Am folgenden Tag wurde auch Mutter Marija, die sich um die Freilassung ihres Sohnes bemühen wollte, selbst verhaftet. Zuerst brachte man die drei nach Romainville, dann ins Lager von Compiègne und schließlich nach Deutschland, wo Mutter Marija im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück bei Berlin am Samstag, dem 31. März 1945, dem Karfreitag des Jahres nach westlichem Kalender, in der Gaskammer starb. Nach einigen Berichten hatte sie dabei den Platz freiwillig für eine andere Inhaftierte übernommen.
Ihr 1920 geborener Sohn diente als Lektor in der Kapelle in der rue de Lourmal. Auch er wurde im Zusammenhang mit der Verhaftung seiner Mutter arretiert und ins Konzentrationslager Dora in Deutschland gebracht, wo er am 6. Februar 1944 verstarb.
Priester Dimitrij Klepinin, geboren 1904, war Absolvent des Hl.-Sergij-Institutes, verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit 1939 arbeitete er als Seelsorger in dem von Mutter Marija gegründeten Foyer in der rue de Lourmel und der dortigen Mariä-Obhut Kirche, bis er mit Mutter Marija zusammen verhaftet wurde. Nach Deutschland ins Konzentrationslager Dora gebracht, verstarb er dort an Pneumonie am 9. Februar 1944.
Für ihren Einsatz zur Rettung der verfolgten Juden haben sowohl Mutter Marija wie Vr. Dimitrij vom Staat Israel posthum den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ erhalten und sind ihre Namen in der Gedenkstätte von Yad Vashem in Jerusalem eingetragen.
Il’ja Fondaminskij war selbst ein russischer Intellektueller jüdischer Nationalität und arbeitete mit seiner Frau und anderen eng mit Mutter Marija in der „Action Orthodoxe“ zusammen, wobei er sich Schritt um Schritt dem christlichen Glauben annäherte. Er wurde aber erst nach seiner Verhaftung 1941 im Zwischenlager von Compiègne (Oise) getauft, kurz bevor man ihn in das Lager Auschwitz deportierte, wo er am 19. November 1942 umgebracht worden ist.
Nicht direkt zur Gruppe um Mutter Marija gehörte der fünfte der neuen Heiligen, nämlich Erzpriester Aleksij Medvekov. 1867 geboren, hatte er vor der Revolution einer kleinen Dorfpfarrei in der Gegend von St. Petersburg vorgestanden. 1918 wurde er von den Bolschewisten verhaftet und konnte nur dank der Intervention seiner Verwandten noch so eben der Erschießung entgehen und nach Estland emigrieren, wo er in großer Armut lebte und zuerst einige Monate als Bergarbeiter seinen Unterhalt verdienen musste, bevor er dann sich mit Religionsunterricht über Wasser hielt. 1930 übersiedelte er nach Frankreich, wo ihn Metropolit Evlogij (1868-1946) in seinen Klerus aufnahm und ihm die kleine Pfarrei von Ungine in Savoyen anvertraute, wo Vr. Aleksij auch an Krebs 1934 verstarb. In diesen wenigen Jahren übte er seinen Dienst trotz der schwierigen materiellen Situation und der Indifferenz eines Großteils der Gemeinde mit großer Hingabe aus, so dass er allgemein als ein Mann des Gebetes und großer Demut geachtet wurde. Als man 1956 im Rahmen einer Verlegung des gesamten Friedhofs von Ungine auch sein Grab öffnete, fand man den Leichnam wie auch die ihn bekleidenden liturgischen Gewänder völlig unversehrt. Dies wurde unmittelbar als ein Zeichen der Heiligkeit interpretiert und im folgenden Jahr sein Körper umgebettet in die Krypta der Mariä-Entschlafen-Kirche auf dem russischen Friedhof in Sainte-Geneviève-des-Bois (Essonne) bei Paris, wo er bis jetzt ruht. Nunmehr aber sollen die Reliquien des neuen Heiligen bald in das Mariä-Obhut-Kloster in Bussy-en-Othe (Yonne) in die dortige Christi-Verklärungs-Kirche umgebettet werden, um hier besser von den Gläubigen verehrt werden zu können.
Jede Kanonisierung ist sicher mehr als eine quantitative Erweiterung des Heiligenkalenders, sondern sie trägt eine besondere Aussage in sich. Dies gilt wohl in besonderem Maße für diese neuen Heiligen, denn sie sind ein Zeugnis nicht nur für die Askese ihres eigenen Lebens, sondern auch dafür, dass im 20. Jahrhundert ein neues Kapitel der Geschichte Orthodoxie in West- und Mitteleuropa begonnen hat, ein Kapitel der Verankerung in dieser Gesellschaft, in ihren Nöten und Freuden. Mögen auch die neuen Heiligen nicht freiwillig in die Emigration gegangen sein, so haben sie – im Gegensatz zu manchen anderen Emigranten – sich nicht in einer abgeschlossenen Welt des bloßen Gedenkens der alten Heimat abgekapselt, sondern entschlossen den Platz, den ihnen ihr Verständnis des Evangeliums zeigte, bis hin zum Martyrium erfüllt. Noch ein weiterer abschließender Gedanke sei in diesem Zusammenhang gestattet: Das Leben von vier der fünf neu kanonisierten Heiligen wurde durch die Gewalt eines deutschen Terrorregimes beendet, bei den meisten von ihnen in Konzentrationslagern innerhalb der deutschen Grenzen: Wäre es da nicht sinnvoll, wenn auch die Orthodoxe Kirche in diesem Lande auch ihre Verehrung aktiv übernehmen würde? Nicht im Sinne einer Aufrechnung und eines Vorwurfes, sondern im Sinne der Versöhnung, des neuen Lebens, dass aus dem Blut der Martyrer springt. Wäre eine gemeinsame Wallfahrt der Orthodoxen dieses Landes etwa zur Stätte des Martyriums der hl. Mutter Marija in Ravensbrück am ihrem Gedenktag nicht ein richtungweisendes Zeichen?