Aus dem Kirchenjahr

Beginn des Kirchenjahres

Zum 1. September

Am 01. September beginnt in der orthodoxen Kirche das Kirchenjahr, während es bei den westlichen Christen erst mit dem 1. Advent beginnt.

Apolytikion zur Indiktion im 2. Ton:

Bildner der ganzen Schöpfung,
der Du die Zeiten und Jahre in Deiner Macht bestimmt hast,
segne den Kranz des Jahres in Deiner Güte, o Herr,
bewahre in Frieden Führung und Volk
auf die Fürbitten der Gottesgebärerin, und errette uns!

Kontakion zur Indiktion im 3. Ton von Patriarch Kyrillos (1813):

Der Du alles in unbeschreiblicher Weisheit geschaffen
und uns in Deiner Macht die Zeit bestimmt hast,
schenke Starke Deinem gläubigen Volk.
Segne das ganze Jahr unser Kommen und Gehen,
lenke unsere Taten nach Deinem göttlichen Willen.

Das orthodoxe Kirchenjahr besteht aus einem Doppelkranz von Festen, von denen der erste Festkreis mit der Vorfastenzeit beginnt und in Pas´cha, der lichten Auferstehung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus gipfelt. Dieser Festkreis um das Osterfest – das ist der Kranz des Sonnenjahres –, und der andere Festkreis – der Kranz des Mondjahres – der sich aus den datumsgebundenen Einzelfesten zusammensetzt und am 01. September anfängt. Da jeder Tag grundsätzlich an beiden Festkreisen Anteil hat, machen erst beide Kränze ineinander verflochten die unverwechselbare Eigenart eines jeden Jahres aus.

Die liturgischen Texte des Osterfestkreises werden für die Vorfastenzeit, die Fastenzeit und die Heilige und Hohe Woche (Karwoche) aus dem Triodion (Fasten-Triod) entnommen. Von der Osternacht bis zum Allerheiligenfest am Sonntag nach Pfingsten ist das Pentekostarion (Blumen-Triod) zuständig. Danach finden sich die benötigten Wechsel- Texte für die Sonntage und die Wochentage im Oktoichos (Acht- Töne- Buch). Für die datumsgebundenen Feste des Mondjahres sind die Menaen (Monatsbucher) zuständig. Eine auszugsweise Sammlung der Menaen, angefangen mit dem September, bringt das Menologion. Was die Zuordnung und Auswahl der Texte aus beiden Festkreisen für einen bestimmten Tag betrifft, so gibt es feste Regeln, die allerdings bei den Slawen etwas anders sind als bei den Griechen. Da das Osterfest nicht immer auf dasselbe Datum fällt, ist die Zuordnung des Osterfestkreises und des Heiligenfestkreises in jedem Jahr anders. Darum ist es nötig, dass für jedes Jahr ein eigener Kalender herausgegeben wird. Fragt man nach der Gliederung im Kirchenjahr, so muss man zunächst festhalten, dass aufs Ganze gesehen der Sonnenfestkreis dem Mondfestkreis vorgeordnet ist, so wie Christus Selbst, die Sonne der Gerechtigkeit, den Heiligen, die Sein Licht reflektieren, vorgeht. Das bedeutet im Einzelnen: Von der Vorfastenzeit an regiert der Sonnenfestkreis, da von nun an die Gläubigen auf Ostern ausgerichtet sind und sich immer mehr dem Mysterium von Kreuz und Auferstehung Christi annähern, zunächst durch ein Wachsen in Sündenerkenntnis und Reue. Nur gerade das Fest der Verkündigung am 25. März ragt aus dem Mondfestkreis herüber. Die Basilius- Liturgie am Heiligen und Hohen Sabbat ist der Augenblick, an dem Christus die Macht des Todes zerbricht. In den Ostermetten feiern wir dann jubelnd die Auferstehung des Herrn. Auch die Zeit der Pentekoste (Pfingsten) wird vom Sonnenfestkreis beherrscht. Denn bis zum Tag vor Himmelfahrt dauert die Osterzeit, in der die persönliche Aneignung der Auferstehungswahrheit im Mittelpunkt steht. Von Himmelfahrt bis Pfingsten bereitet sich die Kirche auf die Ausgießung des Heiligen Geistes und die damit verbundene volle Offenbarung der Dreieinigkeit Gottes vor. Die ganze Zeit der Pentekoste ist eine Zeit des Wachsens im Glauben und in der Gotteserkenntnis. Nach Pfingsten folgt dann eine Zeit der Heiligung und des Wachsens im Heiligen Geiste; jetzt geht gleichsam die Führung im Kirchenjahr an das Mondjahr über, denn die Heiligengedächtnisse prägen die Zeit und erinnern an die Vergöttlichung (griechisch Theosis), zu der jeder Gläubige gerufen ist. Nur noch die Sonntage spiegeln im Acht- Wochen- Zyklus den Ostertag wieder. Die wichtigsten Feste nach Pfingsten sind: am 24. Juni die Geburt Johannes des Täufers, am 29. Juni das Gedächtnis der Apostelfürsten Petrus und Paulus, am 20. Juli das Fest des Propheten Elias, am 01. August eine Kreuzesverehrung und das Gedächtnis der Makkabaischen Brüder, am 06. August das Hochfest der Verklärung Christi, am 15. August die Entschlafen der Gottesgebärerin (griechisch Koimesis, slawisch Uspenie), am 29. August die Enthauptung des Johannes des Täufers. Am ersten September beginnt das neue Jahr; am 8. September wird die Geburt der Gottesmutter gefeiert. Das Hochfest der Kreuzerhöhung am 14. September ist eine Zeitenwende im Orthodoxen Kirchenjahr. Denn hier wird die nachpfingstliche Zeit der Erfüllung erneut zur vorösterlichen Zeit der Erwartung.

Zunächst ist es allerdings die Erwartung der Geburt und Erscheinung (Theophanie) Christi, die innerhalb des Mondjahres stehen; bereits die Feier der Geburt der Gottesgebärerin war eine erste Hinführung zu diesem Mysterium. Die Vertiefung der Erwartung erfolgt durch das Hochfest des Tempelgangs der Gottesgebärerin und dann durch die vorweihnachtliche Fastenzeit mit den beiden großen Gedächtnis- Sonntagen: dem Herrntag der Gottesahnen und dem Herrntag der Väter, die beide bereits zum eigentlichen Weihnachtsfestkreis gehören. Außer dem Geburtsfest Christi am 25. Dezember und Theophanien, am 06. Januar, dem Höhepunkt des Mondjahres, bestimmen die eigentliche Weihnachtszeit eine Reihe weiterer Feste: am 26. Dezember das Mitfest der Gottesgebärerin, am 27. Dezember das Gedächtnis des ersten christlichen Märtyrers Stephanus, am 29. Dezember das Gedächtnis der unschuldigen Kinder von Bethlehem, am 01. Januar die Beschneidung des Herrn und das Gedächtnis des heiligen Basilius des Großen, am 07. Januar das Mitfest Johannes des Täufers, am 02. Februar die Begegnung des Herrn mit Simeon und Anna im Tempel (griechisch Hypapante). Von da an beginnt schon wieder die Vorfastenzeit, die die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf Kreuz und Auferstehung des Herrn ausrichtet.

Überschaut man das orthodoxe Kirchenjahr als Ganzes, so fällt zunächst auf, dass die beiden Jahresfestkreise einander zugeordnet sind wie die beiden Naturen in Christus: ungetrennt und ungeschieden, unvermischt und unverwandelt, wobei das Sonnenjahr der göttlichen Natur und das Mondjahr der menschlichen Natur in Christus entspricht.

Die Feste im orthodoxen Kirchenjahr bedeuten, dass der innere Wachstumsprozess eines Gläubigen ohne Unterbrechung immer intensiver stattfinden kann. Denn der, der sich auf das orthodoxe Kirchenjahr einlässt und es mit der Kirche im Gebet, in Fasten und Feiern mit- und nachvollzieht, der erfährt bald, dass er hineingenommen wird in ein geistliches Wachsen, durch welches er, wie ein Baum, gleichsam Jahresringe ansetzt. Solche Jahresringe bedeuten einen Substanzgewinn und sind die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Zweige sich ausbreiten und die Vögel des Himmels in ihnen nisten können.

Quelle: Nach Christus in euch: Hoffnung auf Herrlichkeit, Orthodoxes Glaubensbuch, Göttingen 2002


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