Unser Glaube

Die Orthodoxe Kirche in Polen

Ein kurzer Einblick in Geschichte und Gegenwart von Thomas Zmija- Horjanyj

In unserem Nachbarland Polen ist die orthodoxe Kirche mit etwa 600.000 bis 800.000 Gläubigen nach der römisch- katholischen Kirche die größte Glaubensgemeinschaft. Sie wird durch den Metropoliten von Warschau und ganz Polen geleitet. Die Kirche ist in sieben Diözesen gegliedert: Die Erzdiözese von Warschau und Bielsk wird vom Metropoliten direkt verwaltet. Ihm stehen die Diözesanbischöfe von Białystok and Danzig, von Łódź und Posen, von Breslau und Stettin, von Lublin und Chełm, von Przemyśl und Nowy Sącz, sowie - für die Gläubigen in Brasilien - der Bischof von Rio de Janeiro and Olinda- Recife zur Seite. Zu diesen kommt noch eine weitere Diözese für die Militärseelsorge. Neben den acht Bischöfen unter dem Vorsitz des Metropoliten von Warschau und ganz Polen versehen etwa 400 Priester ihren Dienst in 300 Gemeinden. Außerdem gehören zu ihr mehrere Auslandsdiözesen und -pfarreien in Portugal, Spanien, Brasilien und Italien. Zur Kirche gehören fünf Männerklöster und drei Frauenklöster mit ungefähr hundert Mönchen und Nonnen. Zur Ausbildung des Priesternachwuchses finanziert sie je einen Lehrstuhl an der Universität Białystok und an der Christlich- Theologischen Akademie in Warschau. Darüber hinaus unterhält sie ein eigenes Seminar in Warschau, eine Schule für Ikonenmalerei in Bielsk Podlaski und eine Kirchenmusikerschule in Hajnówka.

Die orthodoxen Gläubigen in Polen gehören ursprünglich unterschiedlichen Ethnien an, wobei Menschen ukrainischer und belorussischer Abstammung die Mehrheit bilden. Aber heute ist das verbindende und prägende Element ihrer Identität der gemeinsame orthodoxe Glaube. National empfinden sich die meisten Gläubigen als orthodoxe Polen mit kulturellen Besonderheiten, die sich aus ihren ukrainischen oder belorussischen Wurzeln ergeben. Obwohl orthodoxe Gemeinden heute in ganz Polen zu finden sind, gibt es nach wie vor besondere Schwerpunkte der Orthodoxen im Osten und Südosten des Landes, vor allem in der Wojewodschaft Białystok. Hier liegen auch die wichtigen Klöster des heiligen Onufrius in Jabłeczina, des heiligen Johannes des Theologen in Suprasl und der heiligen Martha und Maria in Grabarka.

Bis zu den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert war der Südwesten und Westen des Landes mehrheitlich römisch- katholisch geprägt, während im Norden, Südosten und Osten das orthodoxe und später auch, das damit konkurierende griechisch- katholische Element stärker waren. Im Jahre 1386 war der litauische Großfürst Jagiełło polnischer König geworden. Durch seine damit verbundene Taufe nach römisch- katholischem Ritus nahm die Bildung eines katholisch dominierten, polnisch- litauischen Großreiches seinen Anfang. Im östlichen Teil dieses Staates waren aber nach dem Mongolensturm große Gebiete der Kiewer Rus mit mehrheitlich orthodoxer Bevölkerung inkorporiert worden. So entwickelt sich bis zum 16. Jahrhundert das polnisch- litauische Großreich zu einem Vielvölkerstaat, dessen heterogene Bevölkerungsethnien den unterschiedlichsten Glaubensbekenntnissen angehörten und deshalb von einer für die damalige Zeit besonderen religiösen Toleranz geprägt war.

Diese Situation änderte sich grundlegend mit dem Einsetzen der Gegenreformation seit 1575. Diese wurde durch die Könige Stephan Bathory und Sigismund III. maßgeblich gefördert und hauptsächlich durch den Jesuitenorden getragen. In den kirchengeschichtlichen Kontext der Gegenreformation gehört auch die im Jahre 1596 in Brest geschlossene Kirchenunion zwischen einigen orthodoxen Bischöfen im polnisch- litauischen Staat, die bis dahin dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel unterstanden und der römisch- katholischen Kirche. Ihr ursprüngliches Ziel war es, die pastorale, sowie die staats- und kirchenpolitische Situation der Orthodoxen in der Rzeczpospolita zu verbessern, da es im Rahmen der Gegenreformation zu einer wachsenden rechtlichen und sozialen Diskriminierung der orthodoxen Kirche im polnisch- litauischen Staat gekommen war. Jedoch war ein großer Teil der ostkirchlichen Gläubigen nicht bereit, den uniatischen Weg mitzugehen. Es formierte sich schon bald ein breiter Widerstand; und zwar nicht nur unter weiten Teilen des Klerus, sondern auch in der Bevölkerung und vor allem im orthodoxen Adel. Besonders die massiven Latinisierungsbestrebungen des orthodoxen Glaubens und Gottesdienstes wurden von den Orthodoxen entschieden als unerlaubte Neuerungen abgelehnt.

Politisch fand der orthodoxe Widerstand gegen die Union eine starke Stütze in den Kosaken der Saporoscher Sitsch und den orthodoxen Bruderschaften in den Städten. Infolge der Brester Union spaltete sich die Kiewer Metropolie in einen orthodoxen und in einen griechisch- katholischen uniatischen Teil. Schon im Jahre 1620 konnte der Jerusalemer Patriarch Theophanes III eine neue orthodoxe Hierarchie unter einem eigenen Metropoliten von Kiew (Jov Boretskyj) weihen. Als der Abt des Kiewer Höhlenklosters, der heilige Pjotr Mohyla, im Jahre 1632 orthodoxer Metropolit von Kiew wurde, konnte er wegen seiner guten Verbindungen zum polnischen König Władysław IV die Aufhebung der seit der Union von Brest bestehenden repressiven Gesetze gegen die Orthodoxen und die offizielle Anerkennung der orthodoxen Hierarchie in der Rzeczpospolita erwirken.

In Zeit zwischen 1795 und 1918 verschwand Polen als souveräner Staat von der Landkarte Europas. Nach den polnischen Teilungen kamen die römisch- katholischen Gebiete im Wesentlichen an Preußen und Österreich- Ungarn, während der von Orthodoxen und griechisch- katholischen Uniaten bewohnte Landesteil im Osten an Russland und im Süden an Östereich- Ungarn fiel. Damit kamen die polnischen Orthodoxen zum ersten Mal unter die Jurisdiktion des Patriarchen von Moskau. Seit 1453 hatte eine getrennte russische Metropolie zunächst in Vladimir und später in Moskau und eine ruthenische Metropolie in Kiew existiert. Während die Moskauer Metropolie 1590 mit der Anerkennung der Patriarchenwürde durch eine ökumenische Synode in Konstantinopel autokephal wurde, verblieb jedoch die Kiewer Metropolie weiterhin im Metropolitanverband des Ökumenischen Patriarchates. Zwar hatte der Moskauer Patriarch schon im Jahre 1686 für die seit 1651 russisch beherrschte, links des Flusses Dnipro liegende, Ostukraine die Unterordnung unter die russische Kirchenhoheit erreichen können, aber die westlichen Teile der Ukraine blieben als Metropolie von Kiew und Halyc (Galizien) bis zu den polnischen Teilungen unter der Oberhoheit von des Ökumenischen Patriarchates in Konstantinopel.

Die Gläubigen der unierten Kirche fanden sich nun mehrheitlich auf österreichischen und russischen Teilungsgebiet wieder. Anfangs war die russische Verwaltung gegenüber der griechisch- katholischen Kirche sehr tolerant eingestellt und behinderten in keiner Weise ihr kirchliches Leben. Da die Mehrheit des unierten Klerus aber während der polnischen Aufstände in den Jahren1830, 1848 und 1863 eine pro- polnisch orientierte Haltung eingenommen hatte, änderte sich nach der erfolgreichen Niederschlagung des ersten polnischen Aufstandes im Jahre 1831 die russische Politik gegenüber der unierten Kirche grundsätzlich. Zunächst wurden die Anhänger einer weitgehenden Latinisierung des byzantinischen Ritus aus der unierten Synode entfernt. In Jahre 1833 wurde dann die griechisch- katholische Hierarchie in Wolhynien aufgehoben und die Lawra von Pochyiv (russisch: Potschaev) wurde an orthodoxe Mönche übergeben. 1839 widerrief eine belorussische unierte Synode in Polotsk die Union von Brest und trat mit den verbliebenen unierten Gemeinden und Klöstern in Weißrussland zur Orthodoxie über. Den Abschluss dieser Entwicklung bildete im Jahre 1875 die Aufhebung des letzten unierten Bistums in Chełm, mit dem die griechisch- katholische Kirche auch in den Gouvernements Siedlce und Lublin aufgelöst wurde. Die letzten verbliebenen Pfarreien der Unierten wurden der orthodoxen Kirche eingegliedert. Jedoch nicht alle unierten Gläubigen wollten diesen Schritt mitvollziehen und es kam zur Gegenwehr überzeugt griechisch- katholischer Gläubiger im Chełmer Land. Diese traten ab 1905, als der Übertritt von ehemals unierten Gläubigen zur römisch- katholischen Kirche erlaubt wurde, zum katholischen Glauben über. Diese Vorgänge sollten im Polen der Zwischenkriegszeit zum Anlass für viele große Probleme zwischen der Orthodoxen Kirche Polens einerseits und der römisch- katholischen Kirche und der polnischen Staatsmacht anderseits werden. Denn im stark national geprägten Bewusstsein der Polen wurde die orthodoxe Kirche von da ab als Teil des russischen Okkupations- und Unterdrückungsapparates wahrgenommen.

Im österreichischen Teilungsgebiet der alten Rzeczpospolita, dem Königreich Galizien und Lodomerien, bestand die unierte Kirche unter der dortigen ukrainischsprachigen Bevölkerung fort. Dort waren die orthodoxen Bistümer von Lemberg (im Jahre 1700) und Przemyśl (im Jahre 1693) zur Union übergegangen. In der Zeit zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert, vor allem aber in der Zeit der Zweiten Polnischen Republik (1918 -1939) wurde die griechisch- katholische Kirche in der Westukraine zur Hauptstütze des nationalen und kulturellen Erwachen der dortigen Westukrainer. Die enge Verbindung zwischen dem westukrainischen Volk und der unierten Kirche, die sich durchaus mit der Bedeutung der römisch- katholischen Kirche für die polnische Nation vergleichen lässt, ermöglichte es der ukrainisch- katholischen Kirche nicht nur die Zeit der sowjetkommunistischen Verfolgungen erfolgreich zu überstehen, sondern sogar noch gestärkt aus diesen hervor zu gehen.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren im wiedererstandenen unabhängigen polnischen Staat plötzlich vier Millionen Orthodoxe eine gewichtige Minderheit. Nach dem Zensus des Jahres 1931 machten sie 11,8% der Gesamtbevölkerung aus. Da die polnische Regierung ihnen nahelegte, sich von Moskau zu trennen, wurde 1922 eine Synode in Warschau einberufen, die die Autokephalie erklärte. Eine Gruppe orthodoxer Bischöfe um Bischof Jerzy Jaroszewki von Warschau befürwortete die Autokephalie, während aber eine andere Gruppe der Bischöfe die inzwischen gewachsenen historischen Verbindungen zur russischen Kirche aufrecht erhalten wollte. Als Antwort auf die Synode des Jahres 1922 gewährte Patriarch Tichon der polnischen Kirche die Autonomie und erhob Bischof Jerzy in den Rang eines Metropoliten, weigerte sich aber strikt, eine Autokephalie der polnischen Kirche anzuerkennen. Der Streit nahm bittere Züge an, als Metropolit Jerzy von einem russischen Mönch, der seinen kirchenpolitischen Kurs ablehnte, ermordet wurde. Am 13. November 1924 gewährte der Ökumenische Patriarch Konstantinos VI. der polnischen Kirche die erbetene Autokephalie. 1927 verlieh Konstantinopel Metropolit Dionizy (Waledynski), dem Nachfolger von Metropolit Jerzy, den Ehrentitel „Eure Seligkeit“. Das Moskauer Patriarchat legte Protest in Konstantinopel ein und betrachtete den ganzen Vorgang als Einmischung in seine Angelegenheiten und weigerte sich deshalb, die Selbständigkeit der polnischen Kirche anzuerkennen.

Innerkirchliche und interkonfessionelle Konflikte prägten das Leben der Polnisch-Orthodoxen Kirche während der Zwischenkriegszeit. Innerhalb der Kirche gab es einen deutlichen Gegensatz zwischen den Bischöfen, die fast alle Russen waren, und den Gläubigen, die zu zwei Dritteln Ukrainer waren. Die Bischöfe weigerten sich, ukrainische Bischöfe zu ernennen, und untersagten die Verwendung der ukrainischen Sprache im Gottesdienst. In dieser Zeit hatte die Polnische Orthodoxe Kirche 5 Diözesen, 1624 Pfarrgemeinden und 16 Klöster. Der Priesternachwuchs wurde an zwei Seminarien mit insgesamt 500 Seminaristen in Wilna und Krzemieniec, sowie an der orthodoxen theologischen Fakultät an der Universität Warschau mit 150 Studenten ausgebildet.

Im Jahre 1919 stellte die polnische Bevölkerung in den Ostgebieten des wiedererstandenen Polens nur 25% der dortigen Bevölkerung. So waren in diesem Gebiet von 13,5 Millionen Einwohnern insgesamt nur etwa 3,5 Millionen Polen. Es lag also im nationalstaatlichen Interesse Polens, die im Gegensatz zu den Ukrainern im benachbarten Ost- Galizien national noch indifferente orthodoxe Bevölkerung im Chelmer Land und Podlasie für das Polentum zu gewinnen. So verbanden sich chauvinistische Ressentiments der politischen Eliten gegen die ukrainischen und belorussischen Minderheiten mit theologischen, nationalreligiösen und materiellen Ansprüchen der römisch- katholischen Kirche zu einem unheilvollen Zusammenspiel, deren leidtragende Opfer die orthodoxen Gläubigen in Ostpolen wurden. Ausdrückliches und auch offen erklärtes Ziel dieser Allianz war es, so viele orthodoxe Kirchen wie nur irgend möglich zu zerstören, um, wenn nicht gar eine polnisch- katholische Hegemonie, so doch und zumindest eine Dominanz des römisch- katholischen und damit auch des polnischen Elementes in den östlichen Region für alle Zukunft sicher zu stellen. Seitens der orthodoxen Christen in Polen wirkten diese Vorgänge bis in jüngste Zeit nach und belasteten das orthodox- katholische Verhältnis auf das Schwerste. Denn die römisch- katholische Kirche Polens wurde von den orthodoxen Gläubigen für lange Zeit als eine bösartige Macht angesehen, die ihre Kirchen gewaltsam schließen und zerstören, und orthodoxe Christen mit, bis zur physischen Gewalt reichenden Mitteln, zur Konversion zwingen wollte. Metropolit Dionizy protestierte offiziell gegen die antiorthodoxen Ausschreitungen, die sich oft im Zusammenspiel von polnischen Gendarmerie- und Milizeinheiten und lokaler katholischer Geistlichkeit abspielten. Oft wurden die Kirchen entweder verwüstet oder niedergebrannt und so überhaupt gar nicht erst in den Gebrauch der römisch- katholischen Gemeinden überführt. Die heiligen Ikonen und andere orthodoxe Sakralgegenstände wurden dabei von polnischer Seite oft bewusst geschändet. Auch der unierte Metropolit Andryj Scheptytskyj verteidigte in einem Hirtenbrief an seine Gläubigen die Rechte der orthodoxen Ukrainer in Wolhynien gegen diese „Revindikationen“ genannten Übergriffe. Erst im November 1938 stellt der polnische Staat die Verfolgungen ein und erließ ein Dekret, in dem er die Existenz der orthodoxen Landeskirche auch offiziell anerkannte und das Verhältnis der staatlichen Autoritäten zu ihr regelte. Bis dahin waren in den Verfolgungen im Chełmer Land und Podlasie nahezu die Hälfte der orthodoxen Kirchen und nahezu alle Klöster vernichtet worden.

Als im Zweiten Weltkrieg der Osten Polens durch die Sowjetunion besetzt wurde, kamen die meisten bisherigen Angehörigen der orthodoxen Kirche Polens wieder unter die Jurisdikition des Moskauer Patriarchats, während der kleinere Teil der Kirche im von Deutschen besetzten „Generalgouvernement“ selbständig blieb. Auch die chauvinistischen Ausschließlichkeitsansprüche auf die jahrhundertelang gemeinsam bewohnte Heimat lösten während und nach dem Zweiten Weltkrieg blutige Vertreibungen der jeweiligen Minderheiten beiderseits der neuen Grenze aus, die das Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern bis in die jüngste Vergangenheit auf das Schwerste belasteten.

Die Bevölkerungsverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflussten auch die Gemeindestruktur der orthodoxen Kirche in Polen. Denn im Rahmen der sogenannten „Operation Weichsel“ wurde der überwiegende Teil der vormals im heutigen Ostpolen ansässigen – häufig orthodoxen – Ukrainer in die im Westen und Norden an Polen angegliederten Regionen zwangsumgesiedelt, wo sich neue Gemeinden bildeten. Ein weiterer Teil der Ukrainer wurde jedoch auch in die Sowjetukraine, der auch ein Teil des ehemaligen Ostpolens angegliedert wurde, zwangsumgesiedelt. Im Rahmen dieser Maßnahmen kamen viele Alte, Schwache und Kinder ums Leben. Die alte ukrainische Kulturregion in den Waldkarpaten am Fluss San wurde so gut wie vollständig entvölkert und die meist aus Holz gebauten Dörfer der ukrainischen Lemken und Bojken wurden vernichtet. Noch heute gehören die Waldkarpaten zu den am dünnsten besiedelten Gegenden Polens und gehören als Biosphärenreservat zum Weltnaturerbe der UNESCO.

Erst in der Zeit nach 1970 konnten Teile der verschleppten Ukrainer in ihre alte Heimat in den Karpaten und im Chełmer Land zurückkehren. Als im Jahre 1989 das demokratische Polen wiedererstanden war, konnte auch die orthodoxe Kirche wieder damit beginnen, das kirchliche Leben in der angestammten Heimat neu aufzubauen.

Mit den Grenzziehungen am Ende des Zweiten Weltkrieges umfasste die orthodoxe Kirche in Polen nur noch ein Zehntel ihrer Vorkriegsgröße. Nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahre 1948 wurde der Metropolit Dionizy der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt und wegen seiner antikommunistischen Haltung auf Betreiben der Regierung abgesetzt. Die Regierung wies die orthodoxe Kirche ebenfalls an, sich wieder dem Moskauer Patriarchat zu unterstellen. Im gleichen Jahr erklärte das Moskauer Patriarchat auf Bitte des Heiligen Synods der Polnischen Orthodoxen Kirche die vom Ökumenischen Patriarchen im Jahre 1924 erteilte Autokephalie für null und nichtig und veröffentlichte ein eigenes Autokephalie- Statut für die polnische Kirche. Der Stuhl des polnischen Metropoliten blieb aber bis zum Jahre 1951 vakant, als die orthodoxen Bischöfe Polens die russisch- orthodoxe Kirche baten, einen neuen Kandidaten für den Stuhl des Warschauer Metropoliten zu benennen. Die Wahl fiel auf Erzbischof Makaryj (Oksaniuk) von Lemberg. Seit dieser Zeit unterhält die orthodoxe Kirche Polens brüderliche Beziehungen zum Moskauer Patriarchat. Die Autokephalie der polnischen Kirche wird jedoch auch von allen griechisch geprägten orthodoxen Schwesterkirchen anerkannt.

Seit der demokratischen Wende hat Polen sein Verhältnis zu den östlichen Nachbarn nachhaltig verbessern können. Insbesondere das Verhältnis Polens zur Ukraine hat - vor allem seit der „Orangenen Revolution“ - eine positive Wendung genommen. Auch die Orthodoxe Kirche Polens konnte in den vergangenen Jahren ihr kirchliches Leben entsprechend der Bedürfnisse ihrer Gläubigen frei entfalten. Damit einher ging eine immer stärkere werdende Verwurzelung - gerade der jüngeren Gläubigen - in der polnischen Kultur und der damit einhergehende Wunsch nach einer stärkeren Verwendung des Polnischen im Gottesdienst, denn bisher ist Kirchenslawisch immer noch die hauptsächlich im Gottesdienst verwendete Sprache. Die strittigen Fragen um kirchlichen Besitz mit der katholischen und unierten Kirche konnten inzwischen einvernehmlich gelöst werden, so dass das Kloster in Suprasl und viele, kulturhistorisch wertvolle, orthodoxe Holzkirchen im Südosten des Landes inzwischen restauriert werden konnten. An den Schulen wird orthodoxer Religionsunterricht erteilt und der polnische Staat bezahlt die Gehälter der Religionslehrer. Auch wird orthodoxe Seelsorge durch Kapläne und Priester in den Krankenhäusern, Strafanstalten, bei dem Militär und der Polizei, sowie in verschiedenen anderen öffentlichen Institutionen sichergestellt.

Ein wichtiges verbindendes Element im Leben der Orthodoxen bilden die alljährlich stattfindenden Wallfahrten. Eine der Wichtigsten stellt die Wallfahrt auf den Heiligen Berg in Grabarka rund 10 km östlich von Siemiatycze am Fest der Verklärung Christi (polnisch: Przemienienia Panskiego Spasa) dar. Jedes Jahr pilgern Tausende orthodoxe Gläubige aus Polen, der Ukraine und Belorus nach Grabarka, um mit der Wallfahrt ein deutliches Bekenntnis zu ihren orthodoxen Glauben abzulegen. Sie bringen kleine und große Kreuze mit, in sie ihre Fürbitten geschnitzt haben und lassen diese am Ende der Wallfahrt rund um die Klosterkirche auf dem heiligen Berg zurück. Bevor sie in der Nacht vor dem Fest den heiligen Berg besteigen, waschen sie mit einem weißen Tuch in der heiligen Quelle des Ortes. Das heilige Wasser schützt die Gläubigen vor Krankheiten, denn im 18. Jahrhundert wurden die Menschen durch das Wasser der heiligen Quelle vor der Cholera bewahrt. Die weißen Tücher, die das Kranke aufgenommen haben, lassen sie an der Quelle liegen oder hängen sie in die umstehenden Bäume. Später verbrennen sie die Nonnen. Nach dieser rituellen Reinigung besteigen die Pilger - zum Teil auf Knien - den Heiligen Berg. Die ganze Nacht vom 18. auf den 19. August beten sie dort und nehmen am frühen Morgen an der Göttlichen Liturgie teil. Vielleicht ist gerade die Wallfahrt auf den heiligen Berg in Grabarka für orthodoxe Gläubige aus Deutschland eine gute Gelegenheit, das orthodoxe Leben in unserem Nachbarland Polen auch einmal aus persönlicher Anschauung näher kennen zu lernen?

Ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunkt

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